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das beschauliche Magazin

VIVE LA COMMUNE Erinnerung an eine Diktatur des Proletariats


Sujet mit Ausstellungstitel © Bibliothèque nationale de France

Eine Revolution als Startschuss für den Aufstieg der internationalen Sozialdemokratie

Schüsse haben es an sich, dass es, wenn deren Kugeln treffen, Tote gibt. Das gilt auch für den Startschuss des Aufstiegs des Proletariats, dem von der Sozialdemokratie weltweit heuer gedacht wird. Am 18. März 2021 werden es 150 Jahre, dass in der Millionenstadt Paris erstmals eben dieses Proletariat unter der Bezeichnung „La Commune“ an die Macht gekommen ist. Die Herrschaft währte nur kurz. Sie endete wie viele derartige gewaltsame Unternehmungen bereits nach 72 Tagen in einem respektablen Blutbad, das sowohl die nach oben gekommenen Aufständischen als auch deren Gegner betroffen hat. Die Meinungen sind je nach Gesichtspunkt, ob rechts oder links, scharf geteilt. Für die einen war diese Episode nichts als wütende Barbarei und ein bleibendes Schreckgespenst für alle Umbrüche in den folgenden Jahrzehnten, die beispielsweise in kommunistischen Systemen bis zum Ende des 20. Jahrhunderts die tollsten Blüten persönlicher Unterdrückung zeitigten. Die Linke hingegen, getragen in erster Linie von der internationalen Sozialdemokratie, wird nicht müde, das segensreiche Wirken der Kommunarden für die Arbeiterschaft zu betonen. Was später durch geschickte Politik und dem Einsatz roter Gewerkschaften nach und nach relativ friedlich durchgesetzt wurde, war damals bereits angedacht und teilweise umgesetzt worden. Es gab unter anderem einen Zehnstundentag, eine kommunalisierte Arbeitsvermittlung, Mindestlöhne, Ansätze einer betrieblichen Selbstverwaltung, eine Legalisierung der freien Ehe und die strikte Trennung von Kirche und Staat, also aus heutiger Sicht durchwegs positive Anliegen, die 1871 nahezu utopisch anmuten.

 
Erschießung von Zivilisten © Bnf

Eine erstaunlich objektive Darstellung dieser Ereignisse ist bis 27. Februar 2022 im kleinen Museum „Das Rote Wien im Waschsalon Karl-Marx-Hof“ von den Kuratoren Werner T. Bauer und Lilli Bauer aufbereitet worden. Dort freut man sich, von Paris eine Menge großartiger Materialien erhalten zu haben. Es sind Gemälde, Drucke, Zeitungsausschnitte und Fotos, mit denen die aufschlussreichen und angenehm lesbaren Texte auf den Tafeln illustriert werden. Es wäre nicht Frankreich, gäbe es nicht eine erkleckliche Anzahl von Karikaturen, mit denen sich die Menschen schon damals unter dem Druck untragbarer Zustände Luft gemacht haben. So wurde General Adolphe Thiers bei seinem Feldzug gegen La Commune auf einer Schnecke reitend lächerlich gemacht. Das Grinsen darüber konnte jedoch nicht verhindern, dass er es war, der Ende Mai den Aufstand niedergeschlagen hat. Der Besucher lernt maßgebliche Menschen näher kennen, die er bisher bestenfalls vom Hörensagen gekannt hat. So steht man einem Porträt von Georges-Eugéne Haussmann gegenüber. Ihm verdankt Paris sein großzügiges Erscheinungsbild mit breiten Boulevards und noblen Gebäuden an deren Rand. Man erfährt aber auch, dass diese Umgestaltung auf dem Rücken der Arbeiterschaft durchgeführt wurde, indem man diese kurzerhand an den Stadtrand abgesiedelt hat. Als Kontrapunkt dazu steht die Anarchistin Louise Michel. Der radikalen Kommunardin wurde der Prozess gemacht, wo sie die eigene Erschießung forderte. Derlei Heldentod wurde ihr nicht gewährt. Sie wurde nach Neukaledonien verbannt, wo sie bis zur Amnestie nach knapp zehn Jahren als Lehrerin tätig war und sich den Beinamen „la Louve rouge“ (die rote Wölfin) erwarb. Verschwiegen werden in der Ausstellung nicht die Grausamkeiten, die auch seitens der Commune begangen wurden. Man begegnet den Pétroleusen, berühmt berüchtigte Frauen, die in den letzten Tagen der Blutwoche eine Reihe von Gebäuden in Brand gesteckt haben, und erfährt vom Massaker an den Geiseln in erster Linie aus dem Klerus, so dem Erzbischof von Paris, der dabei ums Leben gekommen ist. Mit seiner elementaren Wucht wirkte sich dieses Intermezzo über die folgenden eineinhalb Jahrhunderte nachhaltig nicht nur im politischen Denken, sondern auch in der Kunst aus. Schon Victor Hugo schrieb von einer guten Sache, die schlecht gemacht war, Emile Zola hat darüber einen Roman verfasst. Bert Brecht kam mit seinem Parabelstück „Die Tage der Commune“ (1949) ebenso wenig daran vorbei wie die Schmetterlinge in den 1970er-Jahren mit der „Proletenpassion“, bis zuletzt der Streetartkünstler Banksy ein Rettungsschiff gestaltet und nach der Galionsfigur von La Commune, Louise Michel, getauft hat.


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